
Seit 2015 unterstützen Ehrenamtler der Gruppe „Mehr-als-Deutsch“ innerhalb des Kinderschutzbundes geflüchtete Menschen in vielerlei Hinsicht. Dabei geht es nicht „nur“ um das Erlernen der Sprache. Diese ist jedoch der „Türöffner“ für vieles.
Die Atmosphäre ist gelöst, aber Konzentration liegt in der Luft. An diesem Montagmorgen sind die Geflüchteten Jehana Said, Issam Osso, Sidi Abdulkadir, Sevgi Demir, Derya Akbas und Tawad Allemi sowie die Ehrenamtler Hildegard Fidler, Elmar Hark, Annette Schmitz und Wolfgang Rüsges einmal mehr im Pastor-Zohren-Haus im Eschweiler Stadtteil Röthgen zusammengekommen.
Sie alle machen einen Teil der Gruppe „Mehr-als-Deutsch“ im Kinderschutzbund Eschweiler aus, in der seit 2015 Geflüchtete Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache, aber auch bei der Suche nach Arbeits- und Ausbildungsplätzen, beim Ausfüllen von Formularen, bei Behördengängen und Arztbesuchen, bei der Wohnungssuche sowie der Einrichtung ihrer Unterkünfte erhalten.
„Wir bemühen uns, das Angebot möglichst breitgefächert aufzustellen, damit wir jeden geflüchteten Menschen als Individuum sehen und dort abholen können, wo er beziehungsweise sie steht“, berichtet Wolfgang Rüsges, der zu den Mitinitiatoren der Gruppe gehört.
Während bei einigen Neulingen der „Mehr-als-Deutsch“-Gruppe bei Null begonnen werden müsse, sind am Montagmorgen die „Fortgeschrittenen“ vor Ort. „Diese stellen durchaus spezielle Fragen zur deutschen Grammatik. Darüber hinaus geht es bei diesen Treffen um Alltagsbegebenheiten sowie kurz nach den Ferien auch um Urlaubserlebnisse“, lässt Hildegard Fidler wissen. „Und an den Dienstagen werden bei unseren Gesprächen selbst politische Themen nicht ausgespart“, betont Sidi Abdulkadir. Kontroverse Diskussionen seien möglich und notwendig, stimmen alle Anwesenden überein.
Grundsätzliches Ziel sei es, die geflüchteten Menschen aus unter anderem Syrien, Irak, der Türkei, dem Libanon, aus Afghanistan, Aserbaidschan, Ghana und nun auch verstärkt aus der Ukraine „alltagstauglich“ für das Leben in Deutschland zu machen. Unverzichtbar seien dabei natürlich Kontakte zu Deutschen, woran es bisweilen hapere. „Wer arbeiten gehen kann, verfügt natürlich über Kontakte“, sprechen Jehana Said, Sidi Abdulkadir und Issam Osso ein wichtiges Thema an. Gemeinsam mit den beiden türkischen Frauen Sevgi Demir, die in ihrer Heimat Kunstgeschichte studierte, und Derya Akbas, die als Geschichtslehrerin tätig war, und dem Afghanen Tawad Allemi sind sie sich einig: „Der erste Schritt ist die Sprache.“
Derya Akbas, die inzwischen seit vier Jahren in Deutschland lebt, weist auf ein weiteres Problem hin, das in den zurückliegenden mehr als zweieinhalb Jahren den Alltag beherrschte. Die Coronavirus-Pandemie und die daraus folgenden Einschränkungen gerade im sozialen Bereich. „Es war quasi unmöglich, Kontakte zu knüpfen. Die Menschen waren isoliert.“ Eine angsteinflößende Situation für einen Menschen, der in ein ihm zunächst fremdes Land kommt.
Info
Mehrere Angebote im Pastor-Zohren-Haus:
Montags und dienstags treffen sich Geflüchtete und Ehrenamtler der Gruppe „Mehr-als-Deutsch“ im Pastor-Zohren-Haus, Am Burgfeld 9, zum Deutschunterricht beziehungsweise zur ungezwungenen Gesprächsrunde. Jeden Mittwoch öffnet an gleicher Stelle zwischen 16 und 18 Uhr das „Café Welcome“, das auf Initiative von Udo Haak, Diakon der katholischen Kirche Eschweiler, ins Leben gerufen wurde und Geflüchteten ebenfalls die Gelegenheit zum Gedankenaustausch bietet. Hinzu kommt in diesen Tagen das „Café Zuflucht“, wo sich Geflüchtete vor allem Rat in juristischen und rechtlichen Fragen holen können.
Des Weiteren habe das eine oder andere Erlebnis ebenso nicht zum Erstarken des Selbwertgefühls beigetragen. „Es ist nicht schön, beim Versuch Deutsch zu sprechen, ausgelacht zu werden“, nennt die mittlerweile sehr gut deutsch sprechende Derya Akbas ein Beispiel. „Inzwischen haben aber die positiven Erlebnisse eindeutig die Oberhand gewonnen“, unterstreicht sie und ist nicht zuletzt den zwölf Ehrenamtlern innerhalb der Gruppe „Mehr-als-Deutsch“ dankbar.
Ein Gefühl, das Ehrenamtlerin Annette Schmitz mit ihr teilt. In die andere Richtung. „Natürlich geht es beim Ehrenamt in erster Linie darum, anderen Menschen zu helfen. Aber ich bekomme hier auch enorm viel zurück. Es ist ein Geben und ein sehr bereicherndes Nehmen, wenn man die Kultur der geflüchteten Menschen kennenlernen darf“, so Annette Schmitz, die andererseits keinesfalls bestreitet, beim Sprachunterricht hin und wieder auch an ihre Grenzen zu stoßen.
Unbestreitbar sei, dass sich im Laufe der Zeit innerhalb der Gruppe ein „Wir-Gefühl“ entwickelt habe, das sich in gemeinsamen Aktionen außerhalb des Pastor-Zohren-Hauses zeige. So machten sich Ende Juli 52 Geflüchtete und zwölf Ehrenamtler auf in Richtung Indemann, wo unter anderem Mini- und Fußballgolf auf dem Programm standen. Auch die Kegelabende im Hotel Flatten erfreuten sich großer Beliebtheit. Im Herbst soll ein „Fest der Begegnung der Nationen“ folgen.
„Wir sehen unsere Hauptaufgabe nicht darin, den Geflüchteten ausschließlich die deutsche Sprache näherzubringen. Deshalb auch der Name der Gruppe. Der Grundgedanke lautet, den Geflüchteten die Gelegenheit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu geben. In dieser Hinsicht ist die Sprache aber natürlich ein wichtiges Mittel zum Zweck“, erläutert Wolfgang Rüsges noch einmal die Intention der Initiative.
Für die Überlassung des Berichtes vom 17.08.2022 danken wir ganz herzlich der Lokaredaktion der Eschweiler Nachrichten.